Aufwandsschätzung und Schätzverfahren

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Aufwandsschätzung und Schätzverfahren

Der Aufwandsschätzung kommt im Projektmanagement eine zentrale Rolle zu. Von ihr ist der Erfolg oder Misserfolg von Projektarbeit maßgeblich abhängig. Gelingt es rechtzeitig eine realistische Aufwandsschätzung durchzuführen, können die richtigen Entscheidungen getroffen werden. Das bedeutet, dass unrentable Projekte rechtzeitig eingestellt werden können bevor unnötige Kosten und Ressourcen verbraucht werden. Andererseits können wirklich rentable Projekte frühzeitig erkannt und entsprechend gefördert werden. Eine gute Aufwandsschätzung ist auch die Grundlage zur Erstellung eines tragfähigen Business Cases.

Verschiedene Verfahren haben sich in der Praxis bewährt: Weit verbreitet, weil wenig aufwändig, ist der Top-down-Ansatz. Wesentlich aufwändiger aber auch präziser ist der Bottom up Ansatz. Bei großen Projekten kommen so genannte Schätzklausuren und die Delphi-Methode zum Einsatz.

Wissensmanagement als Grundlage

Die Schätzung von kommenden Aufwänden ist in der Praxis des Projektmanagements eine der zentralen Herausforderungen. Da Projekte schon per Definition neu und innovativ sind, ist es nicht möglich, Erfahrungen aus der Vergangenheit unverändert zu übernehmen, wie das zum Beispiel im Prozessmanagement durchaus üblich ist. Dennoch zeigt es sich, dass erfahrene Projektmanager oft wesentlich besser mit ihren Schätzungen liegen als unerfahrene, Organisationen in denen Projektmanagement verankert ist, besser schätzen als solche, die nur vereinzelt Projekte machen.
Der gesunde Menschenverstand legt nahe, dass hier Erfahrungen aus der Vergangenheit genutzt werden. Darüber hinaus ist ein gut organisiertes Wissensmanagement ein weiterer wichtiger Schritt, der über das Nutzen von Erfahrungen weit hinaus geht. Aufgabe des Wissensmanagements ist es, die Erfahrungen, die in vergangenen Projekten gemacht worden sind, den aktuellen Projekten als Grundlage für die Projektplanung zur Verfügung zu stellen.

Top-down

Der Top-down-Ansatz beruht auf den Erfahrungen des Auftraggebers. Bei Beauftragung schätzt er den zu erwartenden Aufwand pauschal ab. Daran hat sich das Projektteam in der Folge zu orientieren. Im Detail bedeutet das, dass aus dem pauschalen Budget die einzelnen Budgets für Teilprojekte und Arbeitspakete abgeleitet werden. Der Vorteil ist die bestechende Einfachheit des Verfahrens, der Nachteil, dass diese Schätzungen oft wenig mit der Realität zu tun haben. Da Auftraggeber oft nicht in der Lage sind die genauen Aufwände auf Arbeitsebene zu überblicken, werden ihre Schätzungen auch immer oberflächlich bleiben. Allerdings ist es oft auch ein gewollter Effekt, auf diese Weise einen gewissen Druck aufzubauen, um gar nicht erst eine „wünsch-dir-was-Mentalität“ aufkommen zu lassen, sondern von Anfang an einen gewissen Nachdruck zum Ausdruck zu bringen.

Bottom-up

Alternativ zum Top-down-Ansatz findet in der Praxis oft auch der Bottom-up-Ansatz Anwendung. Dieser ist deutlich aufwendiger, aber bei ordentlicher Anwendung auch wesentlich präziser. Ausgehend von der Detailplanung der Arbeitspakete werden alle Arbeitsschritte innerhalb der Arbeitspakete bewertet. Es ist zu klären, wie lange für die Umsetzung benötigt wird, welche Ressourcen wann in welchem Umfang zur Verfügung stehen müssen. Dabei sind idealer Weise auch Restriktionen wie z. B. Feiertage, Ferien oder ähnliches zu berücksichtigen. Bei mittleren und größeren Projekten sollte hierzu grundsätzlich Projektmanagementsoftware zum Einsatz gebracht werden, um die entstehende Komplexität überhaupt bewältigen zu können.

Daraus wird deutlich, dass dieser Ansatz wesentlich präziser ist, vor allem weil er das fachspezifische Knowhow der Arbeitspaketverantwortlichen mit einbezieht. Andererseits besteht bei diesem Ansatz auch die Gefahr, dass die Arbeitspaketverantwortlichen in diesem Zusammenhang so genannte stille Reserven einplanen, also lieber etwas großzügiger planen, damit sie eventuelle Kürzungen besser überstehen. In diesem Zusammenhang ist es wichtig einerseits an das Verantwortungsbewusstsein der Beteiligten zu appellieren und andererseits die Schätzungen auch zu hinterfragen.

Auch diese Abschätzung kann keine hundertprozentige Sicherheit liefern. Allerdings wird davon ausgegangen, dass sich Abweichungen in den einzelnen Aufwandsschätzungen statistisch ausgleichen. Vorsicht ist allerdings bei systematischen Fehleinschätzungen geboten. So kann zwar davon ausgegangen werden dass sich im Zusammenhang mit der Kapazitätsplanung das unterschiedliche Arbeitstempo einzelner Projektteammitglieder ausgleicht. Ein zu hoher oder zu niedriger Stundensatz hingegen wird systematisch zu falschen Aufwandsschätzungen bezüglich der notwendigen Personalkosten führen.

Schätzklausur und Delphi-Methode

Bezüglich des Verfahrens ähneln die Schätzklausur und die Delphi-Methode dem Bottom-up-Ansatz. Ausgehend von den geplanten Arbeitspaketen oder Teilprojekten werden diese unabhängigen Experten im Rahmen einer Schätzklausur zur Schätzung vorgelegt. Ohne vorherige Diskussion geben die Experten ihre erste Schätzung verdeckt ab. Die Ergebnis werden zusammengefasst und statistisch ausgewertet. Bei erheblicher Varianz oder einzelnen Ausreißern werden die Ergebnisse diskutiert. So können gegebenenfalls alternative, weniger aufwändige Lösungen gefunden werden, die ursprünglich gar nicht betrachtet wurden. Nach der Diskussion erfolgt eine erneute Bewertung durch die Experten. Dieses Verfahren wird so lange wiederholt, bis eine hinreichende Einigkeit besteht (in der Praxis selten mehr als zwei oder drei Runden).

Der Vorteil dieser Methode ist, dass eine wesentlich höhere Treffgenauigkeit der Ergebnisse erzielt werden kann und auch Alternativen gefunden werden können. Der Nachteil ist der deutlich höhere Aufwand, weshalb diese Methode nur bei größeren Projekten zur Anwendung kommt.

Zeitpunkt der Aufwandsschätzung

Die Aufwandsschätzung ist eine kontinuierliche Aufgabe in allen Phasen des Projektes. Dabei werden in Abhängigkeit der jeweiligen Phase unterschiedliche Genauigkeiten erzielt. Während im Rahmen der Initiierungsphase oft noch keine präzisen Abschätzungen möglich sind, sollte mit fortschreitendem Projekt immer mehr Genauigkeit erreichbar sein. Wichtig ist, dass die Aufwandsschätzung nicht nur zu Beginn des Projektes betrieben wird, sondern im Laufe der weiteren Entwicklung immer fortgeschrieben wird, um so die Planungsqualität zu erhöhen.

Verantwortung

Die Verantwortung für die Aufwandsschätzung liegt bei der Projektleitung. Diese muss in Absprache mit dem Auftraggeber eine Methode auswählen und die Ergebnisse dahin gehend hinterfragen, dass Fehlabschätzungen aus Unwissen heraus oder einem falsch verstandenem Sicherheitsbedürfnis vermieden werden.