Krisenmanagement

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Krisenmanagement

Wie bereits an anderer Stelle beschrieben, erreicht ein Großteil aller begonnenen Projekte seine ursprünglichen Ziele nicht vollständig. Die Gründe hierfür sind vielschichtig und ebenfalls beschrieben. Die Nichterreichung von Projektzielen geht meistens einher mit mehr oder weniger extremen Projektkrisen, die vom Projektteam bewältigt werden müssen. Dabei wird oft deutlich, dass die Ursachen meist nicht nur im fachlichen Gegenstand des Projektes liegen, sondern auch im Miteinander der Beteiligten ihre Grundlage haben. Eine weitere Ursache ist oft auch in der zu wenig ausgeprägten Strukturierung des Projektes zu finden.

Teilweise überlagern sogar die persönlichen Konflikte und Krisen der beteiligten Personen die Krise des Projektes. In diesem Beitrag soll ein Prozess beschrieben werden, der sich in der Praxis vielfach bewährt hat und sowohl auf das menschliche Miteinander, also die so genannten weichen Faktoren, als auch auf Prozesse Methoden und Instrumente des Projektmanagements in der Krise eingeht.

Krisendefinition

Der Begriff der Krise wird oft sehr unterschiedlich definiert. Da Krisen immer auch eine Frage der subjektiven Wahrnehmung sind, ist eine klare Abgrenzung auch nicht einfach, dennoch soll hier zunächst ein Versuch unternommen werden:

Charakteristika einer Krise sind eine dringende Notwendigkeit von Handlungsentscheidungen, ein durch die Entscheidungsträger wahrgenommenes Gefühl der Bedrohung, ein Anstieg an Unsicherheit, Dringlichkeit und Zeitdruck und das Gefühl, das Ergebnis sei von prägendem Einfluss auf die Zukunft.

Außerdem haben es die Entscheidungsträger oft mit unvollständiger oder verfälschter Information zu tun. Im Konzept der kritischen Situation darf nicht jede kritische Situation mit einer Krise gleichgesetzt werden. Krisen bestehen im Allgemeinen aber aus einer Ansammlung kritischer Situationen. Kritisch meint hierbei, dass es sich um für den weiteren Verlauf des Gesamtprozesses entscheidende Phasen handelt. Kritische Situationen können dabei geplant sein, vorhersehbar sein oder völlig unerwartet eintreten.

Beispiele für Projektkrisen sind zahlreich. Herausragend in den letzten Jahren in Europa waren sicherlich das Desaster um die Einführung der LKW-Maut in Deutschland oder die Krisen im Zusammenhang mit der Produktentwicklung und Markteinführung des Airbus A 380.

Ursachen von Projektkrisen

Die Ursachen von Projektkrisen sind grundsätzlich projektspezifisch zu suchen und zu analysieren. Es lassen sich jedoch verschiedene Grundmuster erkennen, die bei der Einordnung der jeweiligen Projektkrise bzw. den zugrunde liegenden Problemen und bei deren Überwindung hilfreich sind. Wichtig in diesem Zusammenhang ist zunächst die Unterscheidung von objektiv und subjektiv nicht lösbaren Problemen.

Objektiv nicht lösbare Probleme

Objektiv nicht lösbare Probleme zeichnen sich dadurch aus, dass schlicht keine Lösung für ein Problem existiert. Dies könnte zum Beispiel der Fall sein, wenn notwendige Unterlagen zu einem neuen Verfahren oder Produkt verloren gehen und in der Kürze der Zeit nicht wieder rekonstruiert werden können. Objektive Unmöglichkeit wird in der Praxis von Projektleitungen erfahrungsgemäß häufiger reklamiert, als sie wirklich auftritt, da sie gewissermaßen auch etwas „Erlösendes“ hat. Die Folge ist nämlich meist, dass die zermürbende Projektarbeit unmittelbar endet.

Subjektiv nicht lösbare Probleme

Subjektiv nicht lösbar scheinende Probleme sind grundsätzlich lösbar. Allerdings ist diese Lösung aus subjektiven Gründen nicht möglich. Das kann verschiedene Ursachen haben, zum Beispiel dass die Lösung von den Beteiligten gar nicht als solche erkannt wird. Dass wiederum kann daran liegen, dass die potenzielle Lösung nicht beherrscht wird, es also an Wissen oder Können fehlt oder dass die Beteiligten sie nicht denken wollen, sei es weil sie es aus „politischen“ Gründen nicht dürfen oder weil sie aus ethischen oder emotionalen Gründen heraus nicht wollen.

Ebenfalls weit verbreitet ist die Tatsache, dass Lösungen nicht möglich sind, weil organisatorische Hindernisse nicht überwunden werden können. Wenn zum Beispiel einerseits schnell reagiert werden muss, um ein Ersatzteil zu besorgen, andererseits aber langwierige Beschaffungsprozesse eingehalten werden müssen, dann liegt oft keine objektive Unmöglichkeit vor, der Lieferant wäre ja schließlich bereit zu liefern, wenn er denn einen Auftrag bekäme. Ähnlich gelagert sind verschleppte und / oder langwierige Entscheidungsprozesse innerhalb der hierarchischen Strukturen großer Organisationen.

Ursachen der Unmöglichkeit

Aus der praktischen Beratungserfahrung heraus überwiegt in den meisten Fällen eine subjektive Unmöglichkeit der Lösung, die sich üblicher Weise an einzelnen Personen oder Personengruppen festmacht.

Dieser Sachverhalt leitet zurück auf die eingangs aufgestellte These, dass entweder mangelhafte Strukturierung oder Konflikte zwischen Personen oder Personengruppen Projektkrisen auslösen:

  • Kein gemeinsam getragenes Ziel, das bedeutet Projektteam und Auftraggeber haben kein gemeinsames Verständnis vom Ziel des Projektes entwickelt und haben unterschiedliche teilweise auch unscharfe Vorstellungen vom zu erreichenden Ergebnis (in den Zieldimensionen Termine, Ressourcen und Ergebnisse).
  • Ungenügende Informationen, die zur Steuerung des Projektes notwendig wären (Kosten, Fertigstellungsgrade, Probleme, Änderungen, etc.), liegen nicht zeitnah vor.
  • Fehlender Überblick, überbordende Komplexität, dass heißt ein „Informationsoverkill“ verstellt den Blick auf das Wesentliche.
  • Ungenügende Rahmenbedingungen wie zum Beispiel „politische“ oder emotionale Beschränkungen engen die Projektleitung oder einzelne Beteiligte ein.
  • Weit reichende Terminverschiebungen, die bisherige Planungen obsolet machen.
  • Persönliche Überlastung im Projektteam oder bei einzelnen Mitarbeiter existieren nicht genügend Ressourcen, um sich entsprechend in das Projekt einbringen zu können.

Diese Themen zu erkennen, aufzugreifen und konstruktiv zu bearbeiten sind der Schlüssel zur Lösung der meisten Projektkrisen. Dazu ist es wichtig, dass einerseits Projektmanager für diese Themen sensibilisiert werden und zum anderen, falls das nicht ausreicht, dass kompetente Coaches und Berater die Projektteams extern unterstützen und begleiten.

Krisenindikatoren

Krisen fallen nur selten vom Himmel, sondern lassen sich an Hand von Krisenindikatoren meist recht gut antizipieren, wenn das Projektteam dafür sensibilisiert ist. Krisenindikatoren haben einen engen Bezug zum gesamten Themenkomplex des Risikomanagements. Werden sie konsequent beachtet und werden auch entsprechende Maßnahmen daraus abgeleitet, lassen sich viele Projektkrisen bereits zu einem frühen Zeitpunkt eingrenzen und oft sogar ganz vermeiden. In der Praxis werden Frühindikatoren von Akutindikatoren unterschieden.

Frühindikatoren

Frühindikatoren haben den Vorteil, dass sie oft weit im Vorfeld einer potenziell möglichen Krise sichtbar sind. Das bringt auch den Vorteil mit sich, dass es meist möglich ist proaktiv Maßnahmen einzuleiten, um so krisenhafte Situationen gar nicht erst entstehen zu lassen. Andererseits ist mit diesem Umstand aber auch der Nachteil verbunden, dass sie oft nicht hinreichend ernst genommen werden und deshalb präventiv sinnvolle Maßnahmen nicht eingeleitet werden. Erschwerend hinzu kommt auch, dass jeder einzelne Frühindikator für sich alleine betrachtet oft unproblematisch ist und erst in der Kombination mit anderen Problemen und Risiken kritisch wird und zu einer Krise führen kann.

Frühindikatoren lassen sich in verschiedene Arten clustern:

Probleme im Rahmen der Initiierung und Planung

„Sage mir, wie Dein Projekt startet und ich sage Dir, wie es enden wird!“

Dieser Erfahrungsgrundsatz aus der Praxis gibt schon die wesentlichen Hinweise auf die wesentlichen Frühindikatoren von Projektkrisen:

Unhaltbare Versprechen
Wenn das Machtgefälle zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer zu groß ist, besteht regelmäßig die Gefahr, dass unhaltbare Versprechen gemacht bzw. dem Auftragnehmer abgenötigt werden.

Vergessen von Umfängen
Das bewusste oder unbewusste Vergessen (oder Weglassen) ganzer Umfänge ist vor allem dann eine Gefahr, wenn in Projekt um jeden Preis gewonnen werden muss und gleichzeitig kein gutes Anforderungsmanagement dafür sorgt, dass alle wesentlichen Umfänge berücksichtigt werden.

Fehlendes Knowhow, fehlende Personalressourcen
Fehlendes Knowhow und / oder fehlende Personalressourcen sind vor allem dann ein Problem, wenn Vertrieb und Projektarbeit organisatorisch voneinander getrennt sind. Da sich einerseits vor allem Vertriebsorganisationen oft an Umsatzkennzahlen messen lassen und diese andererseits vom Projektgegenstand keine umfassende Kenntnis haben, besteht in diesem Zusammenhang auch das Risiko der unhaltbaren Versprechen.

Unterschätzte Komplexität
Die Komplexität vor allem mittlerer und größerer Projekte wird vor allem in der Phase der Auftragsklärung leicht unterschätzt. Kommt dann noch eine fehlende Stakeholderanalyse als Problem hinzu, wächst diese Gefahr weiter an.

Ungeklärte Ziele
Das Problem der ungeklärten Ziele in der Projektarbeit ist inzwischen ausführlich dargestellt, aber nach wie vor einer der zuverlässigsten Krisenindikatoren.

Auftraggeber

Auftraggeber haben oft ihren Anteil am Entstehen einer Projektkrise. Die Bereitschaft Verantwortung für ein Projekt zu übernehmen steigt oft erst im Krisenfall an. Gerade diese Zurückhaltung macht das Entstehen von Projektkrisen erst möglich.

Keine Zeit
Auftraggeber nehmen sich nicht die Zeit, um ihren Aufgaben im Zusammenhang mit dem beauftragten Projekt nachzukommen. Dies sind insbesondere das zeitnahe Treffen von Entscheidungen oder die Leitung des Steuerkreises bzw. die Unterstützung der Projektleitung beim Stakeholdermanagement.

Keine Struktur (-vorgabe)
Auftraggeber, die z.B. die Verwendung von (Projektmanagement-) Standards nicht einfordern und auch sonst keine klaren Strukturen vorgeben und einfordern, stellen ebenfalls ein Problem dar.

Mehr Interesse an Rahmenbedingungen als an Ergebnissen
Vor allem wenn Projekte nicht aus einer fachlichen Notwendigkeit heraus gemacht werden sondern primär von politischen Rahmenbedingungen beeinflusst sind, wächst die Gefahr von Projektkrisen an.

Probleme werden personifiziert
Probleme, die potenziell in jedem Projekt auftreten werden nicht als solche gesehen, sondern in erster Linie personifiziert. In diesem Zusammenhang steht oft nicht die Problemlösung im Vordergrund, sondern vor allem die Suche nach Schuldigen.

Ergebnisse werden schöngeredet
Ergebnisse, die eindeutig schlecht, mangelhaft oder unvollständig sind aber dennoch als positiv dargestellt werden sind ebenfalls ein sicherer Krisenindikator.

Team

Das Team, dem bei der Projektzielerreichung die entscheidende Bedeutung zukommt, ist ebenfalls in verschiedenen Aspekten ein zuverlässiger Krisenindikator. Vor allem zum Thema Teamentwicklung gibt es eine Vielzahl von Veröffentlichungen, so dass hier nicht gesondert darauf eingegangen werden soll, außer, dass die entsprechenden Frühindikatoren dargestellt werden:

Abnehmende Kooperationsbereitschaft
Die abnehmende Bereitschaft zu kooperieren, d.h. sich gegenseitig zu unterstützen, auch und vor allem wenn es nicht ausschließlich zum eigenen Vorteil ist, kann als sicherer Indikator für potenzielle Probleme gesehen werden.

Zunehmende Unpünktlichkeit
Pünktlichkeit ist in der zeitverdichteten Projektarbeit oft eine große Herausforderung. So ist es sicher auch kein Problem, wenn einzelne Teammitglieder gelegentlich unpünktlich sind. Wenn sich diese Unpünktlichkeit jedoch häuft, kann sie ein Krisenindikator sein.

Rückzug in die Linie
Gerade in Matrixorganisationen, in denen Projektteammitglieder oft der Doppelbelastung von Projekt- und Linienarbeit ausgesetzt sind, besteht immer das Risiko, dass sich Teammitglieder für die Linie und gegen das Projekt entscheiden, um sich aus ihrer Sicht notwendige Freiräume zu schaffen.

Hohe Fluktuation
Eine hohe Fluktuation im Projektteam lässt vermuten, dass dafür nicht nur projektexterne Gründe bestehen, sondern die Projektteammitglieder oder deren Vorgesetzte die Krise bereits wahrnehmen, unabhängig davon, ob dies eine bewusste oder unbewusste Wahrnehmung ist.

Kommunikation

Kommunikation ist in Projekten ein wesentlicher Erfolgsfaktor. In diesem Sinne lassen sich Krisenindikatoren aus dem Kommunikationsverhalten ebenso wie aus obigen Themenkomplexen abgeleiten.

Wachsende Intransparenz
Wachsende Intransparenz ist meistens ein Zeichen dafür, dass sich ein Team im Dickicht seiner eigenen Aktivitäten verheddert. Dabei kann die Intransparenz auch durch einen overkill an Informationen entstehen.

Spärliche Berichte
Projektteams neigen dazu, sich abzukapseln und einer „Einmischung von außen“ dadurch vorzubeugen, dass die abgegebenen Informationen und Berichte knapp gehalten werden. Dies befördert einerseits die Gefahr der Kopfmonopole und andererseits kann so nicht mehr steuernd eingegriffen werden.

Rückzug auf Formalien
Teams und Projektleitungen, die dazu übergehen Dinge aus formalen Gründen „Sie sind nicht in meiner Berichtslinie…“ nicht zu kommunizieren, haben dafür oft ihre Gründe. Einer kann sein, dass sie Probleme nicht kommunizieren wollen, was zu Krisen führen kann.

Akutindikatoren

 

  • (Meilenstein-)Termine werden mehrfach nicht eingehalten
  • Das Budget wird signifikant überschritten
  • Die Projektlaufzeit verlängert sich (mehrfach)
  • Bestimmte Vorgänge verharren lange Zeit im Zustand „fast fertig“
  • Es müssen nachträglich viele Vorgänge hinzugefügt werden
  • Die Fluktuation im Team nimmt weiter zu
  • Die Teammitglieder machen „Dienst nach Vorschrift“, das Engagement nimmt ab
  • Kundenbeschwerden häufen sich
  • Die geplanten Fertigstellungsgrade werden nicht mehr erreicht
  • Es häufen sich Aussagen wie: „der Kunde versteht uns einfach nicht, der Kunde weiß auch nicht was er will, etc…“
Das Trauermodell nach Kübler-Ross

Krisenhafte Situationen werden von Menschen im Wesentlichen immer gleich erlebt. Dabei ist es für das emotionale Erleben zunächst weitgehend gleichgültig, ob es sich um einen bedeutenden materiellen Verlust, um den Verlust eines geliebten Menschen oder eine berufliche Krise handelt. Deshalb wurde Trauermodell von Kübler-Ross adaptiert, um das Verhalten von Projektmanagern in Projektkrisen erklären zu können und um als Projektleitung eine konkrete Orientierungshilfe für die notwendigen Entscheidungen zu bekommen.

Dieses Trauermodell, das ursprünglich in der Begleitung von Angehörigen todkranker Krebspatienten entwickelt wurde, beschreibt wie Menschen in schweren Krisen reagieren. In fünf Phasen gegliedert ergeben sich typische Verhaltensmuster von Betroffenen, auf die Projektleitungen adäquat reagieren müssen:

Das Trauermodell nach Kübler-Ross: Wie Krisen von Projektmanagern erlebt werden

Das Trauermodell nach Kübler-Ross: Wie Krisen von Projektmanagern erlebt werden

  1. Fassungslosigkeit
    Unmittelbar nach der Krisenerkenntnis herrscht üblicherweise Fassungslosigkeit vor. Da die meisten Beteiligten viel Energie in den bisherigen Projektverlauf investiert haben und meist auch ein hoher Grad an Identifikation gegeben ist, sind sie nun im Moment der Krisenerkenntnis oft fassungslos, entweder über den Zeitpunkt oder über das Ausmaß oder gar über beides gleichermaßen.
  2. Aggression
    Ist der erste Schock überwunden wird oft mit einem hohen Maß an Aggression reagiert. Die Schuld für das Eintreten der Krise wird außerhalb der eigenen individuellen Einflusssphäre vermutet. Je nach Situation kann dies dazu führen, dass ein Projektteam droht gesprengt zu werden (wenn die Teammitglieder sich gegenseitig für das Eintreten der Krise verantwortlich machen) oder dass ein Projektteam durch einen externen Gegner stark zusammengeschweißt wird. In jedem Fall aber erhöht sich der sonst übliche Level an Aggression im Umgang deutlich.
  3. Rückzug
    Nach der Aggressionsphase setzt üblicherweise ein Rückzug ein. Die Beteiligten sehen keinen Sinn mehr in einem weiteren Engagement für das Projekt und finden meist auch verschiedene Alternativen und Möglichkeiten sich anderweitig zu betätigen ohne dass man ihnen daraus einen Vorwurf machen könnte. Wird in dieser Phase nicht von der Führung entsprechend gegengesteuert, besteht die rg eale Gefahr, dass ein Projekt im Sande verläuft und nicht mehr „reanimiert“ werden kann.
  4. Abwägen
    Wenn es gelingt die Beteiligten „nachdem sich der Pulverdampf verzogen hat“ erneut an eine Tisch zu bringen, an die Beteiligten zu appellieren und die positiven Ziele und die bereits geleistete Arbeit zu würdigen, besteht die Möglichkeit, dass die Beteiligten ein erneutes Engagement für das Projekt erwägen. Hier gilt es mit viel Fingerspitzengefühl zu agieren, da keinesfalls von einer unbedingten Zustimmung ausgegangen werden kann. Neben einer offenen Ablehnung, bei der die Einstellung der Betroffenen wenigstens transparent ist, besteht hier auch die Gefahr der inneren Abwehr, die teilweise noch nicht einmal auf einer bewussten Ebene stattfindet sondern oft auch völlig unterbewusst und das mit verheerenden Auswirkungen.
  5. Zustimmung
    Ist die Abwägung positiv verlaufen so schließt sich nun noch die Zustimmungsphase an, in der das Projektteam wieder handlungsfähig ist. Man schaut wieder nach vorne und versucht die anstehenden Probleme konstruktiv zu lösen indem verschiedene Szenarien entwickelt und bewertet werden. Der Einstieg in den eigentlichen Krisenmanagementprozess ist damit getätigt.

Zusammenfassung und Konsequenzen

Obenstehende Ausführungen haben deutlich gemacht, dass das Trauermodell von Kübler-Ross durchaus in die Projektmanagementpraxis übertragbar ist. Wichtig in diesem Zusammenhang ist, dass Menschen sehr unterschiedlich lange brauchen, um diese fünf Phasen zu durchleben und dass dieses durchleben durch die Projektleitung durch entsprechende Interventionen unterstützt werden kann.

Dazu ist es allerdings wichtig, dass die jeweilige Projektleitung einen gewissen Vorsprung gegenüber dem Projektteam hat. Zum Vorteil des Teams und des Projektes kann nur intervenieren, wer selbst bereits wieder handlungsfähig ist, sich also bereits in der Zustimmungsphase befindet. Deshalb ist es oft hilfreich „die Bombe nicht gleich hochgehen zu lassen“ sondern sich zunächst im kleinen Kreis oder als Projektleitung vielleicht sogar alleine zurück zu ziehen, um wieder handlungsfähig zu werden.

Hierzu werden im Seminar verschiedene Techniken und Interventionen vermittelt, um sich selbst und andere wieder in einen guten Zustand zu versetzen. Im Vordergrund stehen einerseits Reframings und andererseits Ankertechniken, um auch in kritischen Zuständen Zugang zu den eigenen Ressourcen zu haben. Gleichzeitig wird auf die Polaritäten verschiedener Metamodelle und ggf. hilfreicher wie auch hinderlicher Believes eingegangen, um hier den Teilnehmern eine höhere Flexibilität in ihrem Verhaltensrepertoire zu ermöglichen.

Abschließend wird auf die Bedeutung eines guten Kontaktes in allen Phasen der Krise zwischen Projektleitung und Team eingegangen. Hier ist ein entsprechendes Pacing von enormer Bedeutung und verlangt von Projektleitungen einerseits hohe Selbstkompetenz (vor allem in der Aggressionsphase) und gleichzeitig sehr viel Einfühlungsvermögen.

Der PMH Krisenmanagementprozess

Der im Folgenden dargestellte Krisenmanagementprozess ist entstanden aus der Begleitung zahlreicher Projektkrisen. Er integriert in der ersten Phase das oben vorgestellte Trauermodell und dient als Leitfaden für alle von Projektkrisen Betroffenen Projektleitungen.

PMH Krisenmanagementprozess

PMH Krisenmanagementprozess

 

Phase 1: Emotionale Klärung

Im Rahmen der emotionalen Klärung wird sowohl von Projektleitung als auch dem Team das Trauermodell durchlaufen (siehe oben). Bevor in die zweite Phase eingestiegen werden kann, müssen beide Seiten wieder handlungsfähig, d.h. in der Zustimmung sein. Diese emotionale Klärung sollte auf Grund der Krisensituation einerseits schnell durchlaufen werden, andererseits aber auch mit dem nötigen Fingerspitzengefühl gestaltet werden. Je nach Situation kann es sinnvoll investierte Zeit sein, hier dem Projektteam etwas mehr Zeit zuzugestehen, um dann in der Folge die Projektkrise souverän meistern zu können.

Phase 2: Situationsanalyse

Im Rahmen der Situationsanalyse geht es um dreierlei: Inhaltlich muss geklärt werden, welchen Status das Projekt hat. Da Projektkrisen ihren Ausgang nicht selten in schlechter Planung, Dokumentation und Controlling haben, ist dieser Status in der Praxis oft nur mit hohem Aufwand festzustellen. Dennoch ist es für die folgenden Schritte und Aktivitäten eine essentielle Grundlage, dass nun vorbehaltlos „alle Karten aufgedeckt“ werden. Hierzu sind ggfs. diverse Einzelgespräche der Projektleitung bzw. der Projektteammitglieder notwendig.

Im nächsten Schritt des Zielchecks geht es darum das zu erreichende Ziel zu hinterfragen. Dabei sollten folgende Fragestellungen betrachtet werden, auch wenn sie oft an Tabuthemen rühren:

  • Ist das Ziel unter den gegebenen Rahmenbedingungen überhaupt noch erreichbar?
  • Lassen sich einzelne Zielbestandteile / Meilensteine verschieben bzw. in der Priorität zurückstufen (was ist wirklich wichtig, was nur „nice to have“)?
  • Was wäre alternativ möglich, um das Problem zu lösen, für dessen Lösung das Projekt ursprünglich initiiert wurde (Problemverlagerung)?

 

Abschließend erfolgt in der inhaltlichen Bestandsaufnahme noch der Ressourcencheck, d.h. es wird geprüft, ob die notwendigen Ressourcen zur Zielerreichung noch uneingeschränkt zur Verfügung stehen, oder aber welche Ressourcen notwendig wären, derzeit aber nicht abrufbar sind.

Im Rahmen der Stakeholder- oder Umfeldanalyse wird im nächsten Schritt geprüft, inwieweit aus dem Projektumfeld, also seitens Auftraggeber, Kunden, anderen Teilen der Organisation usw. mit Unterstützung oder aber auch mit Widerständen zu rechnen ist. Diese Umfeldanalyse wird in der Praxis leider oft vernachlässigt, so dass im weiteren Verlauf immer wieder Störungen aus dem Umfeld auftreten, die bei vorheriger sorgfältiger Analyse hätten erkannt und vermieden werden können.

Analog zur externen Sicht auf das Projektumfeld sollte anschließend projektteamintern ebenfalls ein Teamcheck durchgeführt werden, der prüft inwieweit die Beteiligung und Unterstützung des Teams noch sichergestellt ist oder ob hier ebenfalls noch Handlungsbedarf besteht.

Phase 3: Neuorientierung

Im Rahmen der Neuorientierung definiert das Projektteam gemeinsam mit der Projektleitung verschiedene Szenarien, die auch mit einer Meilensteinplanung und einer groben Ressourcenplanung hinterlegt werden.

In der Praxis ist davon auszugehen, dass für ein Problem bzw. eine Projektkrise stets mehrere potenzielle Lösungen existieren. Diese Grundannahme gilt es vor allem in schwierigen Situationen gelegentlich bei den Beteiligten wieder wachzurufen. Vor allem die Betrachtung der Opportunitätskosten (also der Kosten die entstünden, wenn das Projekt scheitern würde), sind in diesem Zusammenhang oft ein mächtiger Hebel, vor allem wenn es um Entwicklungsprojekte geht, die langlebige Produkte entwickeln bzw. industrialisieren sollen.

Diese Szenarien werden sinnvoller Weise innerhalb eines kompakten Workshops erarbeitet, dessen Dauer und Ablauf oft schwer planbar ist. Bewährt hat sich in diesem Zusammenhang ein Rückzug in einen uneingeschränkt zur Verfügung stehenden „War Room“, der erst wieder verlassen wird, wenn die Neuorientierung geschafft und vom Auftraggeber freigegeben ist.

Phase 4: Maßnahmenumsetzung

Auf Grundlage der in Phase 3 erarbeiteten Szenarien sollte der Auftraggeber zeitnah (konkret: am besten noch im Rahmen der Abschlusspräsentation des Workshops) entscheiden, welches Szenario weiterverfolgt werden soll. In dieser Phase geht es also um den Restart des Projektes. Es fallen alle Aktivitäten an, die auch im Rahmen eines Projektneustarts notwendig sind (Klärung von Verantwortlichkeiten, Arbeitspaketdefinition und -feinplanung, Termin- und Ressourcenplanung, usw). Ob dafür ein erneuter Workshop notwendig ist, oder ob diese Aktivitäten im Rahmen der normalen Projektarbeit erledigt werden, muss projektspezifisch entschieden werden. Wichtig ist, dass nun das Projekt komplett neu geplant wird und alle damit verbundenen Aktivitäten unter einem höheren Druck stehen als dies in „normalen“ Planungsphasen der Fall ist, da man ja bereits eine Krise durchlebt hat bzw. diese gerade durchlebt. In der Folge werden diese geplanten Maßnahmen den neuen Projektplänen gemäß umgesetzt.

Wichtig in dieser vierten Phase ist, dass die Motivation des Projektteams und weiterer Beteiligter aufrechterhalten werden muss. Eine der einfachsten Möglichkeiten die Motivation von Menschen anzuheben bzw. auf einem hohen Niveau zu erhalten ist es Erfolgserlebnisse zu schaffen, da so die oberste Ebene der Maslowschen Bedürfnispyramide nach Selbstverwirklichung angesprochen wird. Diese müssen gar nicht besonders groß sein, es reicht oft, wenn sie symbolischen Charakter haben und gewürdigt werden.

Phase 5: Nachhaltigkeit absichern

Mit Einleitung der Maßnahmen in Phase vier ist die akute Krise oft unmittelbar überwunden: Man hat wieder einen Plan, der mit Ressourcen und Verantwortlichkeiten hinterlegt ist, Team und Umfeld werden aktiv in einer Art und Weise gesteuert, dass die Zielerreichung der ggfs. angepassten Ziele realistisch ist.

Damit dies so bleibt müssen in der Folge die zuvor definierten Maßnahmen controllt bzw. ihre Umsetzung gesteuert werden. Bei Abweichungen bzw. Problemen in der Umsetzung sollte unverzüglich reagiert werden, um zu verhindern, dass sich neue oder bisher nicht erkannte Probleme nicht zu neuen Projektkrisen auswachsen. Auch hier ist es wieder wichtig, Erfolgserlebnisse zu schaffen und zu würdigen.

Ist die Krise überwunden, spätestens aber zum Projektende, werden die Erfahrungen in einem Abschlussworkshop (auch Lessons Learned) evaluiert. Diese Evaluation ist deshalb so wichtig, weil sie allen Beteiligten ermöglicht einerseits mit einem gewissen Abstand das Geschehene erneut zu beurteilen und andererseits Wachstumsprozesse auf Grundlage von gegenseitigem Lernen ermöglicht werden. Fehler und Probleme, die derart aufgearbeitet werden, sind in ihrer Eintrittswahrscheinlichkeit für die Zukunft deutlich vermindert.

Begleitende Prozesse

Begleitend zu den oben beschriebenen fünf Phasen des Krisenmanagementprozesses sind verschiedene weitere, phasenübergreifende Unterstützungs- und Begleitungsprozesse notwendig, die allesamt in der Verantwortung der Projektleitung liegen.

An erster Stelle steht in diesem Zusammenhang die Umsetzung offensichtlicher Sofortmaßnahmen: Es gibt Dinge, die getan werden müssen und können, ohne dass dafür zuvor Analysen angefertigt werden müssen oder Workshops stattfinden müssen. Die konkrete Abgrenzung zu den sorgfältig zu planenden Maßnahmen fällt zwar in der Theorie schwer, ergibt sich in der Praxis aber abgeleitet aus dem gesunden Menschenverstand meist von selbst.

Mit einsetzender Situationsanalyse ergeben sich Erkenntnisse die einerseits das Projektumfeld und andererseits Risiken verschiedenen Ursprungs betreffen. Diese Umfeldthemen und Risiken müssen natürlich fortan gemanagt, d.h. konkret gesteuert, werden, so dass sie die bestehende Krise nicht weiter verschärfen. Dieser Sachverhalt gilt zwar im Grunde genommen für alle Projektaktivitäten, hat aber im Zusammenhang mit Projektkrisen eine deutlich höhere Brisanz.

Dritter wichtiger Begleitprozess ist der Konfliktmanagementprozess der spätestens in der dritten Phase einen herausragenden Einfluss auf Erfolg oder Misserfolg der Krisenbewältigung hat. Wesentliche Indizien für aufkommende Konflikte lassen sich bereits in der zweiten Phase im Rahmen des Teamchecks sammeln. Hintergrund entstehender Konflikte sind die unterschiedlichen Interessen, Ängste und Vorbehalte der Beteiligten, vor allem der Projektteammitglieder. Hier gilt es Inter- und Intrapersonelle Konflikte rechtzeitig zu erkennen und zu bearbeiten.

Zumindest einige Konflikte werden meist erkennbar, wenn auf Widerstände geachtet wird. Offen oder auch verdeckt ausgeübter Widerstand weist meist auf nicht bearbeitete oder bewältigte Konflikte hin. Da der Umgang mit Widerstand ein eigenständiges Thema ist, soll dieses Thema an anderer Stelle vertieft behandelt werden und hier nur als wichtig gekennzeichnet werden.

Krisenmanagement-Tools

Werkzeuge, Tools und Instrumente, um nur ein paar Synonyme zu nennen, gibt es vor allem im Bereich Projektmanagement in einer schier unübersehbaren Fülle. Das liegt vor allem daran, dass viele Projektleitungen aus Angst vor Kontrollverlust sehr strukturiert und detailverliebt arbeiten und deshalb eine Affinität zu strukturgebenden Elementen verspüren. Andererseits führt dies Detailverliebtheit oft dazu, dass „der Wald vor lauter Bäumen“ nicht mehr gesehen wird, es geht schlicht der Überblick verloren (oder, das andere Extrem, die Instrumente werden gar nicht erst benutzt, weil die Arbeitsebene sich verweigert).

Auf der anderen Seite stehen dem gegenüber die Auftraggeber bzw. das Management, die ihrerseits oft kein besonderes Interesse an Details haben, weil sie diese entweder gar nicht beherrschen oder sich nicht um sie kümmern wollen, weil ihnen schlicht die Zeit fehlt. Dieser Interessenkonflikt ist in der Praxis häufig die Sollbruchstelle in der Kommunikation und im Projektcontrolling: Die eine Seite produziert so genannte Datenfriedhöfe, die von der anderen, im wahrsten Sinne des Wortes, entscheidenden Stelle nicht zur Kenntnis genommen werden. Da schon die Kenntnisnahme von Problemen gestört ist, kommt erst recht keine Entscheidung oder Unterstützung zu Stande.

Die Lösung liegt in der Reduktion auf das Wesentliche:

Um den Rahmen dieser Ausführungen nicht zu sprengen sei auf die wesentlichen Veröffentlichungen unter auf dieser Seite verwiesen, wo alle angesprochenen Instrumente ausführlich in ihrer Anwendung beschrieben sind.